»Bedienungsanleitung« für Beziehungskonflikte

Danny Fiebig • 1. Juli 2020

oder für die Jüngeren unter uns:

Relationship Hacks 2.0 ;)

Vielleicht fragen Sie sich: „Was um alles in der Welt soll ich mit einer »Bedienungsanleitung« für Beziehungskonflikte anfangen?

Einen Beziehungskonflikt habe ich zwar in der Tat, aber ich brauche keine Bedienungsanleitung dafür, sondern ich will den Konflikt ja loswerden.“

Schon klar.

Aber der Beziehungskonflikt ist da, und aus irgendeinem Grund können sie ihm nicht einfach ausweichen. (Indem Sie z. B. jetzt zum Flughafen fahren und nach Venezuela auswandern – ich glaube Sie wissen, was ich meine.)

Oft sind es gemeinsame Kinder, die uns zwingen, uns immer noch und immer wieder mit der/demAnderen auseinanderzusetzen, obwohl es uns vielleicht am liebsten wäre, wenn der/die Andere* auf der entgegengesetzten Seite des Planeten wäre.

* Ich möchte mit diesem Text alle Menschen gleichermaßen ansprechen, unabhängig vom Geschlecht.
Ich werde im Folgenden versuchen, den Text wild zu gendern und trotzdem möglichst lesbar zu halten :)
Bitte verzeihen Sie mir eventuelle Fehler.

Dieser Text soll Ihnen Denkanstöße geben. 

Denkanstöße, die bei Ihnen zu Denk- (und Fühl-)prozessen führen.

Denkprozesse, die Sie im Ergebnis bestenfalls befähigen, mit einem (eskalierten) Beziehungskonflikt besser umzugehen. Also diesen auf ein normales Maß zu deeskalieren.

„Moment mal“, werden Sie vielleicht sagen. „Auf ein normales Maß zu deeskalieren?
„Äh – ich dachte, wir wollen den Konflikt lösen?“

Den Konflikt lösen – das wäre natürlich schön. Das ist aber ehrlich gesagt recht unwahrscheinlich.

Konflikte gab es in der Beziehung doch schon immer, auch als die Beziehung noch taufrisch und rosarot war. Vielleicht nicht in den ersten Wochen, aber dann irgendwann, fast mit einer gewissen Zwangsläufigkeit…

Konflikte sind unvermeidlich, aber wir können es in der Hand haben, wie wir damit umgehen, wie weit wir sie eskalieren lassen.

Und in einer einigermaßen zerrütteten Beziehung, wo vielleicht die Absicht zur Trennung besteht, da stellt es doch einen echten Fortschritt dar, wenn es uns gelingt, den Konflikt zu deeskalieren, auf einem Eskalationsniveau zu halten, das für uns zu handlen ist und uns wie anständige, erwachsene Menschen auseinanderzudividieren. Und die Zukunft der gemeinsamen Kinder vernünftig organisiert zu bekommen.

 „Ja ja“, denken Sie jetzt vielleicht, „das ist ja alles ganz schön, bla, bla, aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter, wenn die/der Andere immer…“

Tut mir leid, wenn ich Sie an dieser Stelle unterbrechen muss, aber hier geht es schon los mit dem ersten, leider etwas unbequemen Denkanstoß:


1. Ich kann immer nur bei mir selbst etwas ändern

Bitte lassen Sie sich das nochmal in aller Ruhe auf der Zunge zergehen:

Ich kann immer nur bei mir selbst etwas ändern.

Glauben Sie nicht?

Können wir die Andere ändern? Denken Sie bitte mal kurz nach.

Hat das schon jemals funktioniert, wenn der Andere nicht wollte?
Möchten Sie gerne von anderen geändert werden, wenn Sie selbst diese Änderung nicht wollen?

Nein, das hat noch nie funktioniert und in einem eskalierten Beziehungskonflikt funktioniert das am allerwenigsten, weil da mache ich aus Prinzip nämlich grundsätzlich das Gegenteil von dem, was die Andere von mir will, so sieht‘s nämlich aus.

Wenn der Andere zum Beispiel „nie richtig zuhört“, dann können Sie das also nicht ändern.

Was Sie ändern können, ist die Art und Weise wie Sie mit Ihrem Gegenüber kommunizieren. Vielleicht hört er/sie/x dann auch anders zu. Und selbst wenn er/sie/x immer noch nicht richtig zuhört, dann geht es wenigstens Ihnen besser, denn dann haben Sie Ihr Möglichstes getan, alles andere liegt nicht in Ihrer Hand.

Und was sollen Sie jetzt anfangen mit dieser Erkenntnis?

Sie könnten diese Erkenntnis ab sofort, ab diesem Augenblick zu einem Grundsatz Ihrer Kommunikation, ja zu einem Grundsatz Ihres gesamten Verhaltens machen.

Das wird natürlich nicht sofort zu 100 % gelingen, wahrscheinlich nicht einmal zu 10 % und schon gar nicht in der Hitze des Gefechts. Aber jede noch so kleine Verbesserung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Glauben Sie mir, das zählt.

„Ja aber soll ich jetzt die Hände in den Schoß legen und mir alles einfach so gefallen lassen, weil ich die Andere ja sowieso nicht ändern kann?

Natürlich nicht. Bewirken können wir sehr wohl etwas. Aber – wenn überhaupt – dann nur, indem wir bei uns selbst etwas ändern.

Achten Sie einmal in Ihrer Kommunikation und in Ihrem ganzen Verhalten darauf, was Sie damit jeweils bezwecken.

„Hm“, werden Sie jetzt vielleicht einwenden, „ich sehe ja ein, dass ich letztlich nur mich selbst ändern kann. Aber wenn nur ich mich ändere und der Andere überhaupt keine Anstalten macht, sich zu ändern, da mache ich mich doch auf Dauer zur Idiotin, oder etwa nicht?“

Gegenfrage an Sie:

Was haben Sie zu verlieren?

Frei nach dem Motto der Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als endlos sich wiederholende Streitgespräche nach dem ewig gleichen Muster finden wir überall!

(Wer das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten nicht kennt: es handelt von ein paar Tieren, die unter sehr schlechten Bedingungen lebten und sich dann dafür entschieden, sich davonzumachen, und ihr Motto dabei war "Etwas Besseres als den Tod finden wir überall!")



2. Reden wir doch wie Erwachsene

Manchmal reden wir mit unserem erwachsenen Gegenüber, als wären wir nicht zwei Erwachsene, sondern wir ein Elternteil und der andere unser Kind.

Ein Beispiel (aus der Praxis):

BEISPIEL 1
Frau und Mann leben in Trennung. Die Frau schnauzt den Mann in gereizten Befehlston an: „…und kannst du bitte endlich mal aufhören, »meine Ehefrau« zu sagen, das habe ich dir schon tausend Mal gesagt, DANKESCHÖN!“ (Das „Dankeschön“ am Schluss müssen Sie sich bitte als Sahnehäubchen vorstellen, so als eine richtig schön klatschende verbale Ohrfeige zum Abschluss.)

Wenn Sie sich jetzt bitte mal kurz gedanklich in Ihre Kindheit zurückversetzen wollen? Das eben geschilderte Beispiel hört sich doch so ähnlich an wie „Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, du sollst [hier bitte beliebiges Beispiel aus Ihrer eigenen Kindheit einfügen]“, oder „Hör‘ jetzt endlich auf zu […], sonst […]“. Ich glaube, Sie wissen was ich meine.

Das hat schon als Kind nicht so richtig Spaß gemacht und ist auch in der Eltern-Kind-Beziehung von fragwürdigem Wert. Aber jedenfalls mag es kein(e) Erwachsene(r), wenn so mit ihm/ihr gesprochen wird. Das ist direktives Sprechen und erzeugt automatisch Abwehr. Wir können das sehr gut bei uns selbst beobachten.

Tja, aber was sollen wir stattdessen tun? Die Wut ist da, es hilft also auf der anderen Seite auch nichts, wenn wir diese Wut durch ein glattgebügeltes, gekünsteltes Sprechen zu übertünchen versuchen. Denn die unterschwellige Aggression wird für die andere trotzdem spürbar sein und zum selben Resultat führen.

Wenn wir also statt Beispiel 1 zum Beispiel sagen:

BEISPIEL 2:
„Für mich fühlt es sich nicht mehr richtig an, wenn du »meine Ehefrau« sagst. Ich weiß, dass ich rechtlich noch deine Ehefrau bin. Aber ich würde es gut finden, wenn du versuchst, statt »meine Ehefrau« meinen Vornamen zu sagen.“

Tja, das wäre schön, wenn uns gelingt, irgendetwas so in der Art in einem aufrichtig versöhnlichen, um Verständnis werbenden Tonfall zu sagen. Das wird aber häufig nicht klappen, wenn die Wut einfach zu groß ist.

Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als erstmal dem Gegenüber die Wut klar zu machen.

Wie soll das gehen?

Nehmen wir mal an, Sie wüssten, dass Sie den anderen letztlich nicht ändern können, sondern nur bei sich selbst etwas ändern können. Aber dass er ständig mit »meine Ehefrau« von Ihnen spricht, das macht Sie so richtig wütend.

Wenn Ihr Tonfall jetzt nicht Angriff und Vorwurf wäre, sondern eher aufrichtige Verzweiflung und statt erneut zuzustoßen senken Sie mal kurz Ihr Schwert ein wenig (Ihren Schild können Sie noch hochhalten, keine Angst) und dann sagen Sie (fast wie zu sich selbst): „Ich muss dir sagen, dass ich es wirklich nicht mehr aushalten kann, wenn du von mir als »meine Ehefrau« sprichst, das ist für mich so falsch und macht mich so wütend.“

Probieren Sie’s mal aus, Sie werden vielleicht feststellen: That’s where magic happens.

Achtung, jetzt kommt die WERBUNG: In wirklich schwierigen Gesprächen, wenn uns das selbst nicht mehr gelingt, dann kann eine Mediatorin oder Klärungshelferin uns dabei unterstützen.

Es gibt übrigens noch einen anderen Fall missglückter Erwachsenengespräche:

Manche sprechen mit ihrem Gegenüber auch, als wären sie das Kind und ihr Gegenüber der Vater/die Mutter.

Wenn wir trotzig reagieren, schmollen, beleidigt sind, in Selbstmitleid versinken und dann reden wie ein kleines Kind, dann entspricht das häufig diesem Muster.

Noch ein weiterer Denkanstoß gefällig?


3. Die eine Wahrheit gibt es nicht

Sondern immer mehrere.

Nämlich Ihre Wahrheit, und meine, und viele andere. Jeder/jede hat seine/ihre persönliche Wahrheit.

Wir verhalten uns meistens so, als gäbe es so etwas wie die eine Wahrheit. Und natürlich gibt es durchaus Sachverhalte, über die sich die allermeisten Menschen einig sind (wenn auch nicht alle). Zum Beispiel, dass die Erde vermutlich rund ist und keine Scheibe.

Meistens handelt es sich um ganz gegenständliche Fakten, wenn sich alle einig sind. Dieses Haus hat 10 Stockwerke, Pferde haben vier Beine etc.

Aber sobald wir in den Bereich von Empfindungen, Wertungen, Einschätzungen, Meinungen etc. kommen, wir die Sache schon deutlich schwieriger. Zum Beispiel die folgenden Aussagen: „Der Politiker XY ist total unfähig“, „In dieser Wohnung ist es ziemlich kalt“, „Berlin ist schön“ etc.

Da haben wir dann ganz unterschiedliche Wahrheiten. Da wird dann zu wenig gelüftet oder zu viel, beim Spazierengehen zu schnell gegangen oder zu langsam, zu selten Sex gehabt oder zu häufig, etc.

Und außerdem – eigentlich beginnen die Schwierigkeiten schon einen Schritt davor. Schon bevor überhaupt unsere Wertungen zum Zug kommen, nehmen wir Lebenssachverhalte schon ganz unterschiedlich wahr.

Denn wir alle nehmen selektiv war, je nach unserem persönlichen Fokus. Wenn uns in der U-Bahn ein Mann mit einer teuren Rolex am Handgelenk begegnet, sieht das die eine sofort, der andere nimmt das aber gar nicht wahr und könnte im Nachhinein vielleicht nicht einmal sagen, ob der Passant überhaupt eine Uhr trug.

Und dann bewerten wir das Wahrgenommene eben auch noch unterschiedlich: „Wirklich schöne Rolex, der Mann hat Stil.“ – „Protzige Uhr, so ein Schnösel.“ – „Coole Uhr, aber von dem Geld wüsste ich mir schon etwas anders zu kaufen.“ usw.

Und jetzt stellen Sie sich mal einen Konflikt in einer langjährigen Beziehung vor und da sagt er/sie über ihn/sie: „Du hast mir eigentlich von Anfang an nie richtig Raum gelassen“.

Puh! Eine unglaublich komplexe, subjektive Wahrheit, oder?

Für den, der das sagt, fühlt sich das absolut war an und er „kann es auch beweisen, weil Z hat das nämlich auch schon gesagt.“ (Gerne scharen wir in Diskussionen zusätzlich virtuelle Truppen hinter uns, um unserer Wahrheit mehr Gewicht zu geben, je mehr desto besser und idealerweise sind auch ein paar Wissenschaftler*innen mit dabei)

Für die Angesprochene ist das aber überhaupt keine Wahrheit. „Keinen Raum gelassen, ich glaube jetzt drehst du völlig ab! Du selbst wolltest doch ständig etwas zusammen unternehmen.“

Fazit: Die Suche nach der Wahrheit macht keinen Sinn. Also zum Beispiel die Wahrheit darüber, warum eine Beziehung gescheitert ist. Es gibt die eine Wahrheit und die andere. Und mit welchem Recht - oder besser: mit welchem Sinn - wollen wir sagen, dass unsere Wahrheit „die eine richtige Wahrheit“ ist?

„Ja und was soll ich jetzt machen mit meiner Wahrheit, wenn sie gar nicht die Wahrheit ist? Soll ich jetzt etwa automatisch immer im Unrecht sein?“

Nein. Meine Wahrheit ist und bleibt meine Wahrheit und ich muss diese Wahrheit auch leben. Ich bin mir bewusst, dass meine Wahrheit subjektiv ist, aber trotzdem ist sie mein einzig möglicher Ausgangspunkt.

Doch ist es nicht ein Kampf gegen Windmühlen, wenn wir alle anderen dazu bringen möchten, dass sie unsere Wahrheit als absolute Wahrheit anerkennen und für sich selbst übernehmen?

Alles was wir tun können, ist unser Gegenüber teilhaben zu lassen an unserer eigenen Wahrheit. Sie einen Blick werfen zu lassen in unsere subjektive Landkarte der Wirklichkeit.

Und dann wäre es doch vielleicht interessant zu erfahren, wie die Wahrheit der Anderen aussieht, oder? Mal einen Blick in seine/ihre Landkarte zu werfen.

Denn wenn ich meine Wahrheit kenne und ein bisschen etwas verstanden habe von der Wahrheit meines Gegenübers, dann könnten wir beide vielleicht ein bisschen besser verstehen, was sich abspielt, zwischen uns. Oder?

Vielleich wollen Sie jetzt mal eine Pause mit dem Lesen machen.
Oder Sie folgen mir gleich zum nächsten Denkanstoß…


4. Achtsamkeit

Oh je, höre ich manche sagen, jetzt kommt die »Achtsamkeit«.

Ja ich weiß, der Begriff ist ziemlich durchgenudelt.

Ich könnte jetzt ein paar alternative Begriffe vorschlagen. Aber da es ohnehin nicht um das Wort geht, sondern um das, was ich damit meine, zeige ich Ihnen vielleicht einfach mal kurz, um was es geht:

Ganz viel von dem was ich weiter oben dargestellt habe, setzt voraus, dass wir überhaupt in der Lage sind zu bemerken, was in uns bzw. in unserer Kommunikation gerade vorgeht.

Wenn ich mein Gegenüber eine Woche lang drei Mal am Tag im Befehlston anbrülle, dann habe ich gar keine andere Wahl, wenn ich mir nicht dessen bewusst bin, dass ich den anderen jetzt gerade anbrülle und das möglicherweise nicht so optimal ist.

Das hört sich vielleicht banal an, ist aber immens wichtig. Wenn ich einfach nur die bin, die brüllt, dann kann ich nicht anders.

Aber eines Tages steigt vielleicht so ein Gedanke in mir auf: „Ich brülle immer herum, ich weiß nicht ob das so gut ist, eigentlich will ich das nicht mehr.“

Das ist der Anfang. In diesem Moment ist plötzlich eine beobachtende Instanz möglich, die bemerkt „oh, jetzt habe ich gerade wieder nur herumgeschrien“. Erst dann sind überhaupt Handlungsalternativen möglich, wenn vielleicht zunächst auch nur theoretisch.

Je stabiler diese Beobachterinstanz ist, desto besser klappt das Ganze.  Wenn man Achtsamkeit trainiert, lernt man präsenter zu sein, d. h. mit seinem Bewusstseinsfokus mehr im gegenwärtigen Augenblick anwesend zu sein. (Warnung: das kann sogar so weit gehen, dass man im Hier und Jetzt wirklich ZUHAUSE ist :-) )

Das primäre Ziel von Achtsamkeitsübungen ist eine Desidentifikation mit den eigenen Bewusstseinsinhalten (das heißt, ich bin nicht das, was ich denke). Diese Desidentifikation ermöglicht die Beobachterinstanz.

„Ja ja – ist ja schön, aber muss ich jetzt auch noch einen Achtsamkeitskurs machen? Ich habe doch jetzt gerade wirklich andere Probleme und Zeit habe ich auch nicht.“

Nein, vergessen Sie das alles erstmal. Sie können Achtsamkeit nur jetzt üben. Und immer nur genau JETZT. Also wirklich nur jetzt in genau diesem Augenblick.

Hören Sie bitte gleich mal kurz für einen Moment auf, diesen Text zu lesen und nehmen Sie einfach nur wahr, wie Ihre Augen jetzt gerade diesen Text erblicken. Wie sich Ihr Körper jetzt gerade „von innen“ anfühlt. Wie sich der Raum um Sie herum anfühlt. Was für Geräusche Sie hören. Gedanken steigen in Ihrem Bewusstsein auf, aber Sie müssen Ihnen nicht folgen. Einfach weiterziehen lassen und wieder auf den gegenwärtigen Augenblick lauschen.

Also bitte, versuchen Sie das jetzt mal kurz, ich warte solange.




Gratulation, so einfach ist das, schon haben Sie Achtsamkeit geübt!

Sie werden mir das jetzt wahrscheinlich nicht glauben, aber mehr ist das nicht.

Auch nicht, wenn Sie einen Kurs gemacht haben und noch einen und noch einen und irgendwann „Achtsamkeitsprofi“ sind.

Das können Sie bei jeder Gelegenheit üben, am einfachsten zunächst mal in alltäglich wiederkehrenden Situationen, wo Ihr Denken eigentlich gerade nicht so gebraucht wird.
Zum Beispiel, wenn Sie an der Ampel stehen und warten. Oder wenn Sie beim Bäcker in der Schlange stehen. Oder wenn Sie auf der Toilette sind. Oder generell beim Auto- oder Fahrradfahren.

Sie werden vielleicht erstaunt feststellen, dass Sie durch den Verkehr einer Großstadt radeln können, ohne groß denken zu müssen. Ihr Körper weiß anscheinend, dass er an einer roten Ampel stehen bleiben muss und dass Sie über die Schulter blicken, bevor Sie abbiegen. Das geht echt ganz ohne Denken, allein mit ganz wachem Fahrradfahren. Sie denken nicht, „Die Ampel ist rot, ich sollte jetzt anhalten.“ Sondern: Rote Ampel, einfach Anhalten.

Vielleicht werden Sie jetzt denken „Achtsamkeit ist ja schon ganz nett, aber das löst doch meine Probleme nicht.“

Da fällt mir eine Geschichte von Buddha ein. (Tut mir wirklich leid, jetzt komme ich auch noch mit Buddha, ich hoffe, ich verschrecke Sie damit nicht).

Die Geschichte heißt „Das 84. Problem“:

Einst kam ein Mann zu Buddha. Er hatte einige Probleme in seinem Leben und hoffte, Buddha könne ihm helfen. Er erzählte, dass er Bauer sei, ein guter Bauer, aber manchmal würde es einfach nicht genug regnen. „Letztes Jahr sind wir fast verhungert deshalb!“

Buddha hörte dem Mann voll Mitgefühl zu.

„Ich habe auch einige Probleme mit meiner Familie“, sagte der Mann. „Meine Frau ist eine gute Frau, aber manchmal keift sie schrecklich, und dann verliere ich meine Geduld, und wir streiten heftig. Und dann habe ich einen Bruder, der versucht, sich immer wieder Geld zu borgen, aber er ist nicht bereit, mir bei der Ernte zu helfen. Manchmal bin ich darüber so wütend, dass wir uns schlagen. Und dann ist da noch das Problem meiner ...“

Der Mann fuhr in dieser Weise fort, seinen Ärger und noch weitere Probleme auszubreiten. Als er schließlich genug Dampf abgelassen hatte, schaute er Buddha erwartungsvoll an: „Kannst du mir helfen?“

Buddha antwortete: „Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen.“

„Was soll das heißen, du kannst mir nicht helfen?“

„Jedermann hat Probleme“, entgegnete Buddha, „in der Tat, wir alle haben 83 Probleme. Du hast 83 Probleme, ich habe 83 Probleme, und daran können weder du noch ich etwas ändern. Wenn du fest an deinen Problemen arbeitest, kann es sein, dass du einmal eines lösen kannst. Aber sobald du es gelöst hast, wird sich ein anderes erheben. Du bemühst dich, das Regenproblem zu lösen; du hast einen Weg gefunden die Felder zu bewässern, wunderbar. Schon aber kommt der Monsun und überflutet deine Felder und spült das Getreide fort. Beim besten Willen kann ich dir bei deinen Problemen nicht helfen.“

„Ich dachte, du könntest jedem helfen. Für wen ist denn dann deine Methode gut?“

Buddha sagte: „Es kann sein, dass sie dir durch das 84. Problem hilft!“

„Das 84. Problem? Ich dachte, es gibt nur 83. Was ist denn das 84. Problem?“

„Das 84. Problem ist, dass du keine Probleme haben willst!“

Bitte unterschätzen Sie die Wirkung von Achtsamkeitsübung nicht. Das ist das mächtigste Werkzeug, um zu einem besseren Verhältnis zu einfach Allem in unserem Leben zu finden.

Wenn Sie das regelmäßig üben möchten, dann meditieren Sie täglich ein paar Minuten. Wie das geht?

Sie könnten genau das machen, um was ich Sie gebeten habe, als ich gesagt habe, Sie sollen für einem Moment aufhören diesen Text zu lesen. Nur dass Sie dabei an einem möglichst ruhigen Ort auf einem Kissen oder Stuhl sitzen.

Es gibt ein sehr bewährtes Hilfsmittel: Zählen Sie innerlich einfach Ihren Atem, beim Einatmen „Eins“, beim Ausatmen „Zwei“.

Wenn Sie bei Zehn angelangt sind, oder merken, dass Sie den Gedanken gefolgt und aus der Übung gefallen sind, dann fangen Sie einfach wieder bei „Eins“ an. Überhaupt kein Problem, es kommt niemand, der kontrolliert wie oft Sie bis Zehn gekommen sind, das ist unwichtig.

Einfach üben, ohne Bewerten, ohne Wollen, ohne Meinen. Und natürlich spielt es auch keine Rolle, wie der Atem gerade ist, bitte lassen Sie ihn einfach in Ruhe da sein…

Die Anweisung eines alten ZEN-Meisters dazu lautete: „Hock‘ dich einfach hin und überlass‘ dich ohne alle Künstlichkeit dem Wirken des WEGS.“

Und noch eine kleine Bitte: ich persönlich glaube, die Achtsamkeit schätzt es nicht so sehr, wenn sie vor irgendeinen Karren gespannt werden soll.

Was ich damit meine? Nun, Achtsamkeit kann im Grunde auch beim schnellen Fastfood essen stattfinden oder beim auf dem Handy Herumtippen.

Achtsamkeit hat nichts mit richtig und falsch oder gut und schlecht zu tun.

Wahrscheinlich esse ich zwar etwas bewusster und vielleicht auch langsamer, wenn ich ganz präsent bei meinem Tun bin, aber wie gesagt, langsames Essen ist nicht per se besser weil „achtsamer“.

Sonst kommt womöglich so etwas heraus wie „Ich habe in letzter Zeit soviel Achtsamkeit in unsere Beziehung gebracht aber meine Frau ist leider einfach noch zu unbewusst, das ist wie Perlen vor die Säue geschüttet…“

Und das wäre dann wahrscheinlich nicht so ganz im Sinne des Erfinders.

So, das war's für diesmal...

Fragen? Anmerkungen? Kritik? Ich freue mich über Ihr Feedback!

Mediaton und Klärungshilfe Blog

Mindfulness @ work
von Danny Fiebig 24. Juni 2020
Mindfulness @work - Dieser Beitrag beantwortet die Frage, ob Achtsamkeit im oft hektischen Berufsleben möglich ist - und was das bringt.
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